Mehr Scrum wagen
Theoretisch bin ich gerade ein wenig schockverliebt. Gereicht hat dafür ein zweitägiges Webinar. Dazu ein, zwei Texte und schon hat es – Scrum! – gemacht. Ich weiß, dass klingt absurd. Mensch, Methode, Liebe – dieses Begriffsdreieck will nicht recht zusammenpassen. Aber Scrum ist so einfach wie genial konzipiert, dass man es einfach lieben muss. Zumal es die menschlichen Aspekte erfolgreicher Zusammenarbeit vehement in den Fokus rückt.
Ein konsequent durchgeführter Scrum ist so etwas wie das natürliche Gegengift gegen die Krankheitssymptome einer unter Egomanie und Gigantismus leidenden Moderne á la Elon Musk. Besserwisserei, gegenseitige Schuldzuweisungen und rigoroser Dirigismus haben hier – zumindest in der Theorie – keinen Platz. Es wird nicht übereinander, sondern miteinander geredet. Und zwar nach Möglichkeit von Angesicht zu Angesicht.
Je besser und regelmäßiger der direkte Austausch, desto eher lassen sich Fehler vermeiden und desto leichter lassen sich Anpassungen vornehmen. So das Credo. Der Kunde und das Scrum-Team kommen in den von der Methode vorgegebenen Konstellationen zu Gesprächen zusammen. Zudem gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, den Kontakt zu suchen. Die Arbeit des Scrum-Teams ist keine Blackbox. Sie ist vielmehr das Ergebnis guter Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Die Entstehung von Scrum reicht in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Schöpfer dieser Vorgehensweise sind die IT-ler Jeff Sutherland und Ken Schwaber. Ihr Ziel war es, die Praxis mitzudenken und in Bahnen zu lenken. Oder besser: den Kollegen aus der IT einen Handlungsrahmen für die Softwareentwicklung an die Hand zu geben. Unterfüttert ist ihr Pragmatismus mit klaren Wertvorstellungen. Sutherland und Schwaber fordern von den Beteiligten „Commitment, Focus, Openness, Respect, and Courage“. Und sie meinen es so, wie sie es schreiben. Termine und Zeitumfänge sind unter allen Umständen einzuhalten. Damit einher geht die Fokussierung auf die festgelegten Ziele. In diesen Punkten greifen die Erfinder auf alte Tugenden zurück.
Modern ist – auch aus heutiger Sicht – die Einforderung von Offenheit, gegenseitigem Respekt und Mut. Schließlich dominiert in vielen Arbeitskontexten nach wie vor die Angst des Arbeitnehmers vor der Wahrheit. Wird der Scrum jedoch ernstgenommen, ist wegducken unmöglich. Damit am Ende das bestmögliche Produkt entsteht, müssen zeitnah Probleme angesprochen und Lösungen ermöglicht werden. Hier sind auch die Entwickler gefragt. Sie müssen den Mut haben, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Selbstverständlich respektvoll – wie Sutherland und Schwaber es fordern.
An dieser Stelle landen wohl auch Scrum-Praktiker immer mal wieder beim Befund für die Moderne. Heißt: Sie bekommen es mit Personen zu tun, die sich wichtiger nehmen als alle anderen und alles andere. Personen, denen gegenseitiger Respekt und ein Umgang auf Augenhöhe fremd ist. Diese Leute werden durch die Methode mit Sicherheit nicht von heute auf morgen ein komplett anderes Verhalten an den Tag legen. Ein Gegenargument für die Anwendung von Scrum ist das aber nicht.
Die von der Methode eingeforderte eindeutige Hinwendung zum Ziel kann selbst das schlechte Kommunikationsverhalten einzelner Personen nicht ändern. Der iterative Prozess, über den die Produktentwicklung schrittweise erfolgt, ist unabänderlich. Hilfreich ist zudem, dass zumindest das Scrum-Team von der Größe her überschaubar ist. Acht Entwickler, ein Product Owner und ein Scrum-Master dürfen es höchstens sein. Man kennt sich also. Und zumindest die Entwickler sehen sich täglich. Solch kleine Gruppen, eingebettet in den Scrum, sind der Stoff, aus dem echter Teamspirit erwachsen kann. Gerade wenn die Beteiligten über einen längeren Zeitraum und mehrere Projekte zusammenbleiben.
Jedes umgesetzte Projekt steigert das Selbstbewusstsein so einer Gruppe. Jede entwickelte Software sorgt dafür, dass die Beteiligten verliebt ins Gelingen sind. Gleichzeitig überreicht jedes erfolgreiche Scrum-Team eine Visitenkarte an die Gesellschaft: Kunden und andere Stakeholder können erkennen, dass hier ein Kollektiv über gute interne und externe Kommunikation sowie einen fachlich intensiven Austausch ans Ziel gekommen ist.
Wir sind davon überzeugt: Die Welt sollte unbedingt mehr Scrum wagen.